Kategorie: Frankfurt

Lokalteil

  • Der neue Antisemitismus: der alte Kinderblut-Mythos in neuer Verpackung

    Warum das antisemitische Narrativ vom „Kindermord“ zurückkehrt – und was es über die Gegenwart verrät

    Frankfurt, 30. August 2025. Der Mann mit dem schwarzen T-Shirt steht inmitten der Menge, die Fahnen wehen, die Parolen sind routiniert. „Israel tötet gezielt Kinder“, steht in weißen Blockbuchstaben auf seiner Brust. Das Foto wirkt wie ein weiteres Dokument aus dem globalisierten Protest-Theater unserer Gegenwart. Doch wer genauer hinsieht, erkennt eine tiefere, unheimliche Kontinuität: Der Vorwurf ist nicht modern, sondern mittelalterlich. Er ist die aktualisierte Variante des Ritualmordmythos, jenes antisemitischen Kernnarrativs, das Europa seit fast 900 Jahren begleitet.

    Antisemitisches Kernnarrativ seit über 1000 Jahren, hier und heute in Frankfurt. Foto: Carsten Prueser

    Die Anklage, Juden würden Kinder töten, tritt erstmals 1144 in Norwich auf. Sie war schon damals frei erfunden, religiös wie rechtlich unmöglich, erwies sich aber als politisch extrem wirkmächtig: Sie legitimierte Pogrome, Enteignungen, Ghettoisierungen. Der Vorwurf funktionierte nie über Logik, sondern über moralische Überwältigung. Kinderschutz ist der stärkste Reflex, den eine Gesellschaft kennt. Wer einer Gruppe „gezielten Kindermord“ unterstellt, rückt sie aus der Sphäre des Menschlichen heraus. Der Mythos befreit von Ambivalenz und macht Gewalt denkbar, manchmal sogar zwingend.

    Diese Struktur wirkt bis heute weiter. Der Satz auf dem T-Shirt ist kein politisches Argument; er ist eine Dämonisierung. Israel erscheint nicht als Staat, der kritisierbar wäre, sondern als metaphysische Bedrohung – als Kollektiv, das „gezielt“ Kinder ermordet. Das ist keine Analyse des Nahostkonflikts. Das ist die Reaktivierung eines archaischen Feindbildes, das nur seine Oberfläche gewechselt hat. Antisemitismus in Reinform. Die Codes sind neu, die Logik ist alt.

    Die Szene erhält ihre eigentliche Wucht, wenn man sie in ihre räumliche Realität einbettet. Der Demonstrationszug am 30. August formiert sich in einem Gebiet, das in Frankfurt ein historisches Nervenzentrum ist: die Großmarkthalle, heute Sitz der Europäischen Zentralbank. Auf dem Weg dorthin liegen eingelassene Texttafeln im Boden, Zitate von Zeitzeugen der Deportationen.

    Genau auf diesem Weg wurden die Frankfurter Juden vor achtzig Jahren in die Vernichtung getrieben. Heute marschieren hier Menschen mit Keffiyehs, Fahnen und Parolen, die sich offen mit Hamas-Positionen identifizieren – einer Organisation, deren Charta in der Tradition klassischer eliminatorischer Judenfeindschaft steht. Die historische Ironie ist so scharf, dass man sich fragt, wie man sie übersehen kann: Auf dem Deportationsweg eines antisemitischen Vernichtungsprojekts reproduzieren Demonstranten das älteste antisemitische Narrativ Europas. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie hinterlässt Resonanzräume, in denen bestimmte Töne leichter wieder anschlagen.

    Man sollte den Menschen auf dem Foto nicht dämonisieren. Er ist kein Täter, sondern ein Symptom. Die eigentliche Diagnose betrifft die politische Kultur, die Komplexität nicht mehr aushält und stattdessen auf mythische Vereinfachungen setzt. Sie betrifft die Bereitschaft, die Vergangenheit nur als moralisches Museum zu betrachten, statt als lebendiges Warnsystem. Und sie betrifft eine Öffentlichkeit, die gelernt hat, in Affekten zu sprechen, aber nicht mehr in Begriffen.

    Bezeichnend war an diesem Tag auch das politische Begleitpersonal: Eine ganze Reihe Frankfurter Stadtverordneter war als sogenannte Beobachter anwesend, um – so wurde erklärt – mögliche Übergriffe der Polizei zu dokumentieren und die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Demonstranten zu sichern. Doch gerade diese selbsternannte Hüterrolle enthüllt ein erschreckendes Verschiebungsphänomen: Während auf dem historischen Deportationsweg Narrative reproduziert wurden, die in ihrer Struktur an die ältesten antisemitischen Mythen Europas anschließen, richtete sich der Blick der parlamentarischen Delegation nicht auf die Symbolik, nicht auf den Inhalt, nicht auf die offen geäußerten Parolen, sondern ausschließlich auf die Polizei. Als sei die Gefahr nicht der antisemitische Gehalt der Demonstration, sondern die Polizei, die ihn dokumentieren könnte. Dieses selektive Beobachten ist selbst Teil der politischen Kultur, die das Problem nicht sieht, weil sie sich angewöhnt hat, es nicht sehen zu wollen.

    Die Gegenwart liebt klare Feindbilder und schnelle Gewissheiten. Der Konflikt im Nahen Osten ist dafür besonders anfällig: Er ist emotional überladen, globalisiert und politisch hochgradig instrumentalisierbar. Doch wer ihn auf die Formel „gezielter Kindermord“ reduziert, übergibt sich an die Logik des Mythos – und verlässt die Zone politischer Urteilskraft. Der Satz auf dem T-Shirt erzählt nichts über Gaza. Er erzählt etwas über die psychische Ökonomie einer Gesellschaft, die in Krisenlagen Regression für Erkenntnis hält.

    1940er Jahre: Der Weg in den Tod für die Frankfurter Juden.
    Heute: Aufmarsch der Pro-Hamas-Demonstranten. Foto: Carsten Prueser

    Der Weg an der Großmarkthalle erinnert daran, wohin solche Erzählungen führen können, wenn sie hegemonial werden. Er ist Beton gewordene Mahnung. Dass ausgerechnet hier, auf dieser historischen Strasse zur Vernichtung, neue Formen antisemitischer Projektion marschieren, ist kein Zufall. Es zeigt, wie nah die Vergangenheit der Gegenwart bleibt, wenn der moralistische Reflex stärker ist als die historische Vernunft.

  • Korruption vor Gericht — und in der Gesellschaft

    Korruption vor Gericht — und in der Gesellschaft

    Anlässlich des Korruptions-Prozesseses am kommenden Freitag im ABG-Komplex eine Rezension zu Gertrude Lübbe-Wolffs neu erschienenen Buch „Der ehrliche Deutsche“ (Klostermann Verlag, 2025)

    An diesem Freitag verhandelt die Strafabteilung des Amtsgerichts Frankfurt in einem von drei den Frankfurter Nachrichten bekannten Verfahren aus dem Korruptions-Komplex der ABG Frankfurt Holding GmbH. Ein Beispiel, das das Systemhafte am Thema Korruption in der Stadt sichtbar macht: Intransparente Strukturen, Nähe zwischen Politik und Verwaltung, wirtschaftliche Verflechtungen, die dem öffentlichen Auftrag zuwiderlaufen. Dass es dafür überhaupt erst eines Strafverfahrens bedarf, ist bezeichnend für den Zustand kommunaler Compliance.

    Buch (Abbildung)

    In dieses Klima fällt das neue Buch der ehemaligen Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff, das man als intellektuellen Prüfstein einer Gesellschaft lesen kann, die sich selbst gern für integer hält. Der ehrliche Deutsche – der Titel trägt eine ironische Spannung in sich. Er klingt zunächst wie eine Selbstvergewisserung – Ausdruck des tief verwurzelten Glaubens an deutsche Rechtschaffenheit. Doch zugleich legt Lübbe-Wolff den Finger auf genau diese Selbsttäuschung: Die Vorstellung vom „ehrlichen Deutschen“ wird zur Maske, hinter der sich strukturelle Blindheit und moralische Bequemlichkeit verbergen. Der Titel ist somit weniger Lob als Diagnose einer verdrängten Wirklichkeit.

    Man denkt sofort an Figuren wie den grünen Stadtkämmerer Bastian Bergerhoff, dessen Partei sich ehrenvoll für Informationsfreiheit stark macht, der aber schamlos die Stadtverordnetenversammlung belügt, um Einsicht in Akten mit Korruptionsbezug bei der ABG durch einen Prüfungsausschuss zu verhindern.

    Immerhin führt das für die Aufsicht zuständige Hessische Ministerium des Innern jetzt endlich eine Untersuchung durch.

    Lübbe-Wolff, Juristin und langjährige Professorin in Bielefeld, seziert in ihrem Buch die großen Mechanismen der Korruption: von der Vetternwirtschaft im Vergabewesen über die strukturelle Versuchung politischer Macht bis hin zu den grauen Zonen im Wissenschafts- und Gesundheitsbetrieb. Sie folgt dabei – wie auch die Frankfurter Nachrichten in der Berichterstattung – der Definition von Transparency International: Korruption als Missbrauch anvertrauter Macht zum eigenen Vorteil. Doch ihre Analyse reicht tiefer – sie beschreibt auch die psychologische und kulturelle Dimension, die Verdrängung des Problems im Selbstbild der „rechtschaffenen“ Deutschen.

    Lübbe-Wolff widerspricht entschieden der nationalen Selbstzufriedenheit. Zwar liege Deutschland auf Platz neun im internationalen Korruptionswahrnehmungsindex, doch sei es – so schreibt sie – vom „Integritätsspitzenreiter Dänemark weiter entfernt als von Chile oder den Vereinigten Arabischen Emiraten“. Die Risiken nähmen zu: Internationalisierung, Migration aus Ländern mit anderer Korruptionskultur, organisierte Kriminalität und eine Politik, die in Krisen Milliarden verteilt, ohne Kontrollmechanismen aufrechtzuerhalten.

    Besonders scharf fällt ihre Kritik am „Moralismus“ und an der „Regelungsillusion“ aus. Wer Korruption allein als moralisches Fehlverhalten Einzelner begreife, so Lübbe-Wolff, verkenne die strukturelle Dimension. Und wer glaubt, mit wohlklingenden Gesetzen sei das Problem erledigt, täusche sich – vor allem in der Europäischen Union, wo der „Erlass prächtig klingender Normen“ allzu oft die praktische Untätigkeit überdecke.

    Das kennen wir in Frankfurt vom Fall Peter Feldmann, der nur für einen begrenzten Tatkomplex im Zusammenhang mit der AWO verurteilt wurde. Zehn Jahre lang war er Chefaufseher der korruptionsbelasteten ABG Frankfurt Holding. Über eine systematische Aufarbeitung seines Wirkens dort ist nichts bekannt. Trotz des erhöhten Korruptionsrisikos in der Immobilienbranche. Der vom Aufsichtsrat unter seinem Vorsitz über das übliche Rentenalter hinaus und unter offenkundigen Compliance-Verstößen vertragsverlängerte Geschäftsführer Frank Junker (68) ist beispielsweise bis heute im Amt.

    Für die ehemalige Richterin ist Transparenz die wirksamste Gegenmedizin – und sie fordert eine „Abmagerungskur“ für das Datenschutzrecht, das in seiner Überdehnung häufig eher Vertuschung als Aufklärung ermögliche.

    Ihr Buch ist kein juristisches Traktat, sondern eine luzide Analyse einer politischen Kultur, die Korruption gern als Randphänomen auslagert. Dass es gerade aus Frankfurt kommt – der Stadt, die sich Transparenz in ihrer Beteiligungssatzung vorschreibt, sie aber regelmäßig verweigert – macht seine Lektüre zur Pflicht.

    „Der ehrliche Deutsche“ ist damit mehr als ein Fachbuch. Es ist ein Spiegel, in dem sich nicht nur Ministerien und Großkonzerne, sondern auch kommunale Gesellschaften wie die ABG wiedererkennen könnten – wenn sie den Mut hätten hinzusehen. 

    Gertrude Lübbe-Wolff: „Der ehrliche DeutscheÜber Problemverleugnung, Moralismus und Regelungsillusionen in Sachen Korruption.
    Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2025. 344 Seiten, 29,80 €.

    Hauptverhandlungstermin im Verfahren 915 Cs 7740 Js 232292/20 (Tatvorwurf: Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr) findet am Freitag, den 24. Oktober 2025, um 09:00 Uhr in Saal 15 E, Gerichtsstraße 2, 60313 Frankfurt am Main, statt.

    (Anmerkung: für einige Stunden nach Veröffentlichung war eine Vorabversion durch einen Fehler im Redaktionsprozess online, in der impliziert wurde, ein verfahrensbeteiligter ABG-Mitarbeiter sei Angeklagter. Richtig ist, das ABG-Mitarbeiter Zeugen im Verfahren sind. Wir bedauern den Fehler und haben ihn korrigiert.)

  • Stadt Frankfurt attackiert die Pressefreiheit

    Ein Bericht in eigener Sache

    Journalistischer Alltag heißt: recherchieren. Ein wesentlicher Teil davon sind Presseanfragen an Behörden. Das ist kein Gnadenrecht, sondern gesetzlich verbrieft – in Hessen durch § 3 des Hessischen Pressegesetzes und auch verfassungsunmittelbar aus Art. 5 Grundgesetz.

    Selbst für ein junges Medium wie die Frankfurter Nachrichten funktioniert das meist erstaunlich gut: kurze Fristen, schnelle Antworten, wie es sich gehört – schließlich will niemand die Nachrichten von gestern lesen. Vorbildlich arbeiten etwa die Pressestellen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten in Frankfurt. Schnell, kompetent, professionell.

    Anders sieht es in der Stadtverwaltung Frankfurt aus. Manche Stellen reagieren rasch, andere nur nach Erinnerung. Mitunter wird verschleppt, verschlampt – oder womöglich gezielt gemauert. Mal liegt Inkompetenz vor, mal offenbar die Absicht, etwas zu verbergen.

    Besonders irritierend: Die großen Platzhirsche im Frankfurter Medienbetrieb hätten die Ressourcen, hier eine bessere Auskunftskultur durchzusetzen. Doch statt Konflikte zu riskieren, poliert mancher wohl lieber das Messing-Namensschild auf der Pressebank der Stadtverordnetenversammlung und versucht, nicht an die sinkenden Auflagen zu denken.

    Wenn aber alles nichts hilft, bleibt als Rechtsbehelf der Eilantrag beim Verwaltungsgericht. Normalerweise wirkt das Wunder: Die angefragte Information kommt, weil die sich weigernde, aber auskunftspflichtige Stelle —oft aufgrund internen Beratung durch Rechtskundige— sich eines Besseren besinnt. Schnell und unkompliziert.

    Nicht so in Frankfurt. Im Zuge unserer Recherchen zur Korruption und Compliance-Verstößen bei der ABG Frankfurt Holding stellten wir eine Presseanfrage an das Dezernat für Bauen und Planen von Stadtrat Marcus Gwechenberger. Pressesprecher Sebastian Tokarz verweigerte unwirsch die Auskunft – nicht zum ersten Mal. Der Eilantrag beim Verwaltungsgericht folgte. Doch statt der erwarteten Antwort erreichte uns ein über 330-seitiger Schriftsatz einer Münchner Großkanzlei. Darin: abwegige oder veraltete Rechtsansichten („Presse ist nur Gedrucktes“), Zitate von Verfassungsgerichtsentscheidungen aus den 60er Jahren, als hätte sich die Pressefreiheit seit der Spiegel-Affäre nicht weiterentwickelt, eine Collage von Verwaltungsvorgängen ohne Bezug zum Verfahren – und vor allem: persönliche Diffamierungen.

    Pressefreiheit in Trümmer?
    Pressefreiheit in Trümmern? Bild: KI

    Als wie ein „pubertierendes 15-jähriges Mädchen auf Facebook“ oder als von „Wahnideen“ und „gekränkter Eitelkeit“ getrieben, wurde der Autor dieser Zeilen bezeichnet. Man fabulierte gar, ein Obsiegen würde die „hoheitliche Aufgabenerfüllung“ erschweren und er betreibe eine „Fehde“ und „Hetze gegen Mitarbeiter“. Ein grotesker Angriff, der das Zurückhaltungsgebot staatlicher Stellen im Verwaltungsprozess verhöhnt.

    Die politische Verantwortung? Dezernentin Stephanie Wüst schweigt dazu. Das Rechtsamt unter Leitung von Gerhard Budde gab wohl den Auftrag, zumindest ist es zuständig. Ebenfalls von Herrn Budde: keine Stellungnahme auf unsere Nachfrage. Mit Steuergeld wird eine Großkanzlei beauftragtum eine lokale Redaktion zu diskreditieren. Selbst unsere Schreiben an Stadtverordnete wurden herangezogen, als wäre die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt.

    Unsere Anfragen bei der Stadt bezüglich der Beauftragung seiner Person hat der Münchener (ausgrechnet!) Rechtsanwalt Wolfgang Patzelt gleich zu einem weiteren Schriftsatz verarbeitet, steht zwar inhaltlich nichts neues drin, aber ein paar teure Stunden kann man dann gleich noch zusätzlich auf auf die Rechnung nehmen. Hier ist der zentrale Vorwurf (fett gedruckt!): Die Presseanfragen an die Stadt seien in Wirklichkeit Kritik, in Form von Fragen. Eine Ungeheuerlichkeit in den Augen des Herrn Patzelt, der dabei in seiner Rage vergisst, dass Kontrolle und Kritik genau die verfassungsmäßige Aufgabe der Presse ist. Und ansonsten sei alles „Hetze“ und „Privatfehde“.

    Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Verwaltung gemäß der Hessischen Gemeindeordnung? Der scheint klar verletzt, schließlich hat das Rechtsamt ca. 80 Mitarbeiter, etwa die Hälfte davon Volljuristen. Ein presserechtliches Standard-Verfahren sollten die eigentlich aus dem Effeff können. Ohne Profitinteresse einer Anwaltskanzlei hätten es vielleicht auch 100 Seiten getan? (Unsere Erwiderung an das Gericht ist sechs Seiten lang.) Und bei so einem Umfang kommen schnell fünfstellige Beträge zusammen. Anwälte nennen sowas im branchenüblichen Anglo-Slang „Fee-Fest“, zu deutsch und ohne alle Alliteration: Gebührenmaximierung ohne Notwendigkeit.

    Das Muster ist klar: eine Einschüchterungskampagne. Doch die Skrupellosigkeit, mit der hier gegen ein freies Presseorgan vorgegangen wird, markiert eine neue Qualität.

    Wie kann eine so massive Verletzung der Pressefreiheit in Frankfurt geschehen? Die Stadt wird (noch) nicht von rechtsextremen Verfassungsfeinden regiert. Es stellen Parteien mit einwandfreiem demokratischen Leumund die Regierung.

    Warum also dieser Griff in die Trickkiste autoritärer Machtsicherung? Wagenburgmentalität? Angst vor Enthüllungen im Bausumpf? Wahlkampfnervosität? Intransparenz-Reflexe, die ausser Kontrolle geraten?

    Wir wissen es nicht. Noch nicht. Aber wir werden es herausfinden.

    Wie wird sich die Verwaltung erst verhalten, wenn die so rasant mehr Wählerstimmen gewinnenden Rechtsextremisten im Magistrat sitzen? Im vorliegenden Fall ist kein Respekt der Verwaltung für Grundrechte, Verhältnismäßigkeit oder Zurückhaltungsgebot der öffentlichen Gewalt erkennbar.

    Aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir lassen uns unser Grundrecht nicht nehmen – von Leuten, die Demokratie, Beteiligung, Compliance und Digitalisierung predigen, aber offenbar meinen, die bloße Rhetorik genüge. Und trotz aller Machenschaften im Verborgenen (oder vielleicht grade deswegen?) viel zu wenig Probleme unserer Stadt tatsächlich lösen.

    Doch Demokratie ist Alltag, nicht Festrede im Pavillion. Sie beginnt bei Gesetzestreue und Respekt vor Institutionen – auch und grade vor der Presse.

    Beteiligung heißt: Keine teuren Programme mit Versammlungen, zu denen keiner kommt, sondern Kritik hören und ertragen, nicht nur Applaus. Informieren, erklären, diskutieren und zuhören.

    Compliance und Rechtsstaatlichkeit heißt: nicht dicke Kodizes beschließen, sondern Interessenkonflikte tatsächlich offenlegen und Korruptionsrisiken transparent machen. Und geltende Regeln und Gesetze einfach einhalten.

    Wir bleiben dran. Und werden weiter berichten.

  • Korruptionsverdacht: Der Schatten der ABG

    Korruption ist kein fernes Phänomen, das in Nachrichten über entlegene Regime vorkommt. Ihr Risiko sitzt mitten in Frankfurt, in den Amtsstuben der Verwaltung, in den Fluren der ABG Frankfurt Holding GmbH, einer Gesellschaft, die unter der Führung von Frank Junker eigentlich für Gemeinwohl stehen sollte.

    Inzwischen gibt es gleich drei Strafverfahren, die belegen: Der Verdacht des Filzes war nie bloß ein Gerücht. Nach unseren Recherchen ist uns jetzt bekannt, dass es mindestens drei Strafverfahren wegen Korruptionsdelikten in der Sphäre der ABG gibt.

    Drei Strafprozesse – drei Spiegelungen

    • Aktenzeichen 915 Cs 7740 Js 232 292/20;
      Strafbefehl ergangen am 11.11.2024. Öffentliche Hauptverhandlung am 24.10.2025, 09:00 Uhr, Saal 15 E.
    • Aktenzeichen 915 Ds 7740 Js 214491/20 &x20;
      Erstinstanzliches Urteil ergangen, aktuell Berufung vor dem Landgericht.
    • Aktenzeichen 917 Ls 7740 Js 258649/24;
      Anklage vom 23.12.2024. Pflichtverteidiger bereits bestellt. Hauptverhandlung noch nicht eröffnet.

    In dem letztgenannten Verfahren stehen fünf Angeklagte vor Gericht, darunter ein Mitarbeiter der ABG. Fünf Verteidiger, drei Richter – das Format des Schöffengerichts zeigt bereits an, dass hier keine Bagatelle verhandelt wird. Ein Prozess ist ein Brennglas: erhellend und schmerzhaft zugleich. Wenn die Hauptverhandlung eröffnet wird, dürfte dies einer der aufsehenerregendsten Termine im Frankfurter Justizkalender werden. Noch liegt die Anklageschrift unter Verschluss – doch das Licht der Verhandlung wird sich nicht dauerhaft dimmen lassen.

    Amtsgericht Frankfurt: ein Urteil ist bereits ergangen. Foto: O. Brückner

    Die ABG als Bühne

    Die ABG ist mehr als ein städtisches Unternehmen. Sie ist eine Projektionsfläche: für Hoffnungen auf bezahlbaren Wohnraum, aber auch für Misstrauen, wenn Entscheidungen intransparent bleiben. Dass nun Verfahren wegen Korruptionsdelikten geführt werden, zeigt, wie brüchig das Fundament sein kann, wenn Gemeinwohlauftrag und Eigeninteresse ineinanderfließen. Jahrelange Versäumisse bei der Aufsicht manifestieren sich jetzt als Problem. Zehn Jahre lang stank der Fisch vom Kopf — Oberaufseher war der korrupte Oberbürgermeister Feldmann, später in anderer Sache wegen Vorteilsnahme vom Landgericht Frankfurt zu 120 Tagessätzen verurteilt. Es wird sich zeigen, ob seine Amtsführung einen negativen Einfluss hatte. Aber auch heute gibt es Aufsichtsratsmitglieder mit offensichtlichen Interessenkonflikten. Das ist hochriskant.

    Auch Stadt betroffen

    Aber auch die Stadt ist selbst betroffen von Korruptionsfällen: die Verurteilung von OB Peter Feldmann, zugleich höchster Aufseher der ABG und die Verurteilung seines engen Mitarbeiters, dem Leiter des Hauptamts Tarkan A. sind prominenteste Fälle. Zuletzt gab es Ermittlungen bei der Vergabe von Mietwagen-Lizenzen. Droht ein Rückfall in die 80er Jahre?

    „Sizilianische Verhältnisse“?

    Im Juli 1988 berichtete der Spiegel, dass gegen rund 300 Beschuldigte bei der Stadt ermittelt wurde. In sieben städtischen Ämtern – vom Straßenamt bis zu den Stadtwerken – habe es demnach als üblich gegolten, dass Firmen, aber auch Bürger zunächst Geld zahlen mussten, wenn sie Aufträge oder behördliche Unterstützung erhalten wollten.

    Der Blick zurück zeigt: Das Thema Korruption ist nicht neu, es zieht sich wie ein roter Faden bis in die aktuellen Verfahren hinein. Schon damals sprach ein Staatsanwalt von „sizilianischen Verhältnissen“. Die Frankfurter Rundschau berichtete etwa von einem städtischen Mitarbeiter, der von einem Unternehmer als Gegenleistung für seine Unterstützung verlangte, ihm eine Herde Rinder zu kaufen. Heute fragt man sich, welche Formen der Vorteilsnahme sich nun offenbaren werden – im sprichwörtlichen braunen Umschlag oder auf subtileren Wegen.

    Ein Fazit ohne Trost

    Frankfurt hat kein punktuelles, sondern ein strukturelles Korruptionsproblem. Die Verfahren in der Sphäre der ABG, die Verurteilungen bei der Stadt und die Rückblicke auf vergangene Skandale zeigen, dass Muster über Jahrzehnte fortwirken. Die Stadt steht vor der Frage, ob sie endlich die Kraft zur Selbstreinigung aufbringt – oder ob die alten Bilder von „sizilianischen Verhältnissen“ weiterhin das heimliche Leitmotiv bleiben.

  • SPD in der Krise – und ein Ausweg

    SPD in der Krise – und ein Ausweg

    „Die Krise der SPD ist tief, aber nicht unüberwindbar.“ Mit diesem Satz beendet Henning Meyer seinen Essay „Wie die SPD zu retten ist“, erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 27. Juni 2025. Es ist ein Text, der nicht nur die Diagnose einer seit Jahrzehnten schleichenden Krankheit liefert, sondern auch den möglichen Therapieweg skizziert. Und er stammt von jemandem, der Gewicht in der Partei hat: Meyer ist Sozialwissenschaftler, Honorarprofessor an der Universität Tübingen und stellvertretender Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD. Er schreibt nicht aus der Pose des Besserwissers, sondern mit dem klaren Blick des Sozialdemokraten, der die Partei nicht verloren geben will.

    Der Befund

    Sein Befund ist ernüchternd: Seit den 1990er-Jahren habe die SPD ihr programmatisches Fundament preisgegeben und sich einem „transaktionalen Politikstil“ verschrieben – punktuelle Koalitionen, kurzfristige Zugeständnisse, aber ohne Kompass. Dieses Modell, einst von Schröder und Blair als Erfolgsformel gefeiert, hat sich erschöpft. Es hinterlässt eine Partei ohne Profil und ohne Überzeugungskraft.

    Wie das in der Praxis aussieht, zeigt der jüngste Frankfurter Mietenstopp. Als Maßnahme verkauft er sich auf den ersten Blick gut: ein rasches Signal, eine scheinbar klare Entlastung für die Mieterinnen und Mieter. Doch politisch bleibt er ein klassisches Lehrbuchbeispiel für Transaktionspolitik: ein Angebot im politischen Supermarkt, kein Ausdruck einer kohärenten Vision, zudem ökonomisch äusserst fragwürdig. Mehr noch: Er lenkt zugleich ab vom Versagen führender Sozialdemokraten bei der Governance des städtischen Immobilienkonzerns ABG, wo jahrelang Aufsichtspflichten vernachlässigt und Compliance-Fragen ausgeblendet wurden. Statt einer langfristigen wohnungspolitischen Strategie liefert die SPD ein kurzfristiges Preisschild – und versucht, damit die eigenen Versäumnisse zu kaschieren. Statt: „Kommunales Wohnen für möglichst viele“ (Vorbild Wien!) heißt es „Mietpreisprivilegien für 10 %“.

    Eine Lösung?

    Meyer hat recht: Wer Politik auf den Charakter von Sonderangeboten reduziert, verliert das, was Sozialdemokratie immer ausgezeichnet hat – die Fähigkeit, Menschen zu begeistern, Hoffnung zu wecken, einen gesellschaftlichen Zukunftsentwurf vorzulegen. Besonders schlüssig ist sein Rekurs auf Aristoteles. Der Philosoph unterschied drei Grundelemente erfolgreicher Rede – und damit, so Meyer, auch erfolgreicher Politik. Ethos bedeutet moralische Führung. Für eine moderne Sozialdemokratie heißt das konkret: Demokratie zu leben, Partizipation zu ermöglichen, Transparenz zu garantieren und die gesetzliche Bindung der Verwaltung ernst zu nehmen. Moralische Autorität entsteht nicht aus Sonntagsreden, sondern daraus, dass politische Akteure die Regeln des Rechtsstaates nicht nur predigen, sondern auch in der alltäglichen Praxis durchsetzen. Auf kommunaler Ebene bedeutet dies eine Verwaltung, die rechtstreu arbeitet, Entscheidungen nachvollziehbar begründet, die Öffentlichkeit beteiligt und dabei die Probleme der Stadt effizient und effektiv löst. Wo Demokratie gelebt, Transparenz praktiziert und Gesetzestreue gewährleistet wird, gewinnt Politik Glaubwürdigkeit zurück.

    Pathos bezeichnet die Fähigkeit, Emotionen anzusprechen, Menschen zu bewegen, Hoffnungen und Ängste ernst zu nehmen. Logos schließlich meint die rationalen Argumente, Inhalte und Programme, die Politik sachlich begründen und plausibel machen.

    Die Rechtspopulisten setzen nahezu ausschließlich auf Pathos: sie schüren Angst, Wut, Ressentiment. Die SPD wiederum hat sich in den vergangenen Jahren auf Logos verengt – Mindestlohn, Steuererleichterungen, Sozialprogramme. Alles wichtig, aber ohne Resonanz im Herzen der Wählerinnen und Wähler. Was fehlt, ist die Balance: Nur wenn Ethos, Pathos und Logos zusammenspielen, entsteht eine politische Kraft, die zugleich glaubwürdig, bewegend und vernünftig ist.

    Willy wählen

    Ein Blick in die eigene Geschichte zeigt, wie das gelingen kann. Willy Brandt verband in den 1970er-Jahren moralische Autorität, programmatische Klarheit und emotionale Ansprache in einer Weise, die bis heute als Vorbild gilt. Die Kampagne „Willy wählen“ war mehr als ein Slogan – sie war Ausdruck einer Begeisterung, die Millionen Menschen mobilisierte, weil sie das Gefühl hatten, Teil eines Aufbruchs zu sein. Genau diese Mischung aus Ethos, Pathos und Logos fehlt der SPD heute – und genau darauf zielt Meyers Analyse.

    Besonders wichtig ist sein Hinweis auf die Kommunen. Dort entscheidet sich, ob die SPD wieder Vertrauen gewinnen kann – im direkten Alltag der Menschen, nicht in der Berliner Blase.

    Meyers Fazit weist den richtigen Weg: Nur wenn die SPD eine solidarische, glaubwürdige Zukunftsvision formuliert, kann sie das Vertrauen zurückgewinnen. Wer glaubt, es ginge auch mit einem „Weiter so“, verkennt die Dramatik der Lage.

    Meyer meint, die SPD habe zwei Jahre Zeit, um im Rahmen der Grundsatzprogrammarbeit einen solchen Entwurf vorzulegen. Gelänge das, wird sie wieder zur gestaltenden Kraft. Scheitere sie, bleibt der Platz für gesellschaftliche Visionen den Populisten überlassen

    Die Frankfurter SPD hat nicht so viel Zeit: Schon bei der nächsten Kommunalwahl droht die Einstelligkeit, der weitere Ausblick ist vernichtend. Der Wille zur grundlegenden Kursänderung nicht erkennbar.

    Wahlergebnisse der Frankfurter SPD seit 1970 mit linearer Fortbildung bis 2050
    Wahlergebnisse der Frankfurter SPD seit 1970
    und eine lineare Extrapolation dieser Ergebnisse bis 2050.

    Ein Blick auf die Wahlergebnisse zeigt, dass die bisherige Strategie gescheitert ist.

  • Abmahnung für Menschlichkeit

    Nach einem Bericht von Friedrich Reinhardt (FNP) droht die ABG einem Mieter wegen Lebensmittelspenden

    Ein Bericht in der Frankfurter Neuen Presse (Montag, 11. August 2025, Seite 33, online nicht verfügbar) erzählt eine kleine Geschichte, die alles über den Zustand der Stadt verrät. Die ABG Frankfurt Holding, seit Jahrzehnten die kommunale Machtmaschine am Wohnungsmarkt, droht einem Rentner mit Abmahnung – weil er Lebensmittelspenden organisiert.

    Fritz Höper, 70+, eigensinnig, manchmal laut, aber schlicht von Solidarität getragen, koordiniert die Verteilung von überschüssigem Essen, berichtet Reinhardt in der FNP. Er rettet, was sonst im Müll landen würde, und bringt es dorthin, wo die Not am größten ist: in ein Hochhaus voller älterer Menschen mit kleiner Rente. Aus Sicht der Nachbarschaft ist das praktizierte Mitmenschlichkeit. Aus Sicht der ABG offenbar Ordnungs-widrig.

    Denn die Gesellschaft wirft ihm vor, so Reinhardt, mit den Essensspenden „Ratten“ anzulocken – und droht: Kosten für Schädlingsbekämpfung, Abmahnung, am Ende vielleicht Kündigung. Das alles in der Sprache einer Verwaltung, die sich nicht mehr für Menschen interessiert, sondern nur noch für Aktenzeichen.

    Was hier sichtbar wird, ist mehr als ein Nachbarschaftsstreit. Es tritt der verhunzte Charakter eines entmentschlichten Gemeinwohl-Unternehmens zu Tage, entstellt durch das Wirken der instrumentellen Vernunft: Wo Menschen füreinander sorgen, sieht die ABG nur Risiko und Störung. Gemeinwohlverpflichtung? Olle Kamellen, wir sind profitorientiert, und Profit ist geiler noch als Geiz.

    Das System Junker ist das Problem

    Dass die ABG so reagiert, ist kein Zufall. Über dreißig Jahre regiert ihr Geschäftsführer Frank Junker wie ein Patriarch. In dieser Zeit ist ein Klima entstanden, in dem alle Angst haben vor dem allmächtigen Paten – Mitarbeiter, Aufsichtsräte, ja selbst die Stadtpolitik. Die Folge: Lähmung. Niemand wagt, das Offensichtliche zu tun – nämlich Engagement zu unterstützen, statt es zu bestrafen.

    Die Politik kennt dieses Muster nur zu gut. Auch dort lähmt die Angst vor Machtverlust die Bereitschaft, menschlich und mutig zu handeln. Am Ende bleiben Menschen wie Höper allein zurück – bedroht von Briefköpfen, geschützt nur durch die spontane Solidarität ihrer Nachbarn.

    So wird aus einer Episode über Essensspenden ein Spiegel der Stadt: Ein Konzern im Besitz der Allgemeinheit, unfähig, Gemeinwohl zu leben. Eine Politik, die sich in Schweigen hüllt. Und eine Nachbarschaft, die zeigt, dass Menschlichkeit noch existiert – nur eben nicht dort, wo sie hingehörte.

    Es ist höchste Zeit, dass die Stadtregierung diese Lähmung überwindet. Sie muss die ABG wieder an ihren eigenen Gesellschaftszweck erinnern – die sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung – und das System Junker beenden. Alles andere hieße, die Entmenschlichung weiter zu dulden.

  • Klarheit gefordert – Kuschelkurs geliefert

    Dana Kube beeindruckt mit einer engagierten Rede zur Informationsfreiheit. Doch wo Kritik nötig wäre, bleibt sie zu milde.

    FRANKFURT – Dana Kube gehört zu jener neuen Generation der Grünen, auf die viele gehofft haben: jung, intelligent, hochqualifiziert. Eine Wissenschaftlerin mit analytischem Blick und rhetorischem Talent. Keine Kindheit in der Friedensbewegung, keine Erweckungserlebnisse auf der Hofgartenwiese, kein ideologischer Nebel von Mutlangen oder der Freien Republik Wendland, der ihre Sicht verstellen würde. Ihre Politik ist gestaltend, zukunftsgewandt – und frei von dem mehltauigen Ballast der Altvorderen, deren öffentlich inszenierte Katastrophenszenarien oft eher nach Therapiebedarf als nach Verantwortung klingen.

    Dana Kube spricht in der Frankfurter StVV. Foto: Carsten Prueser

    Am Donnerstag hielt Kube eine leidenschaftliche Rede zum Informationsfreiheitsrecht in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Sie hob sich wohltuend ab vom gewohnheitsmäßigen Vorlesegeleier der meisten Redebeiträge, besonders der Magistratsmitglieder. Kube sprach frei, engagiert und mit spürbarem innerem Antrieb – die Informationsfreiheit ist für sie mehr als ein politisches Thema: eine Herzensangelegenheit.

    Was bedeutet eigentlich Informationsfreiheit? Informationsfreiheit ist das Recht aller Bürgerinnen und Bürger, Zugang zu amtlichen Informationen zu erhalten – unabhängig von ihrer persönlichen Betroffenheit. Sie ist ein zentrales Element demokratischer Kontrolle und die entsprechenden Gesetze der Länder und des Bundes eröffnen jeweils den Schutzbereich des Grundrechts auf Informationsfreiheit (Art. 5) im Grundgesetz. Seit dem 1. Januar 2025 gilt in Frankfurt eine neue, fortschrittliche Satzung zur Umsetzung des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes (HDSIG). Damit wurde klargestellt: Alle öffentlichen Stellen der Stadt unterliegen dem HDSIG – also dem Landesgesetz, das Auskunftsrechte regelt, Fristen setzt und eine Begründungspflicht festschreibt.

    Und doch: So aufrichtig Kubes Einsatz, so gründlich ihre Vorbereitung, so kraftvoll ihre Worte – so enttäuschend war letztlich ihr Befund im politischen Kern. Denn sie zeigt eine geradezu rührende Nachsicht gegenüber der Verwaltung, die für die Umsetzung des Informationsfreiheitsrechts verantwortlich ist. Zu verständnisvoll, zu sanft, zu freundlich im Ton gegenüber einer Staatsmacht, die sich in diesem Punkt de facto weigert, nach den Grundsätzen des Rechtsstaats zu handeln.

    Frankfurt verfügt damit formal über eine der wirksamsten kommunalen Regelungen zur Informationsfreiheit in Hessen, eine Tatsache, die wir auch dem entschiedenen Einsatz von Dana Kube zu verdanken haben. Doch an der praktischen Umsetzung dieser neuen Rechtslage scheitert die Stadtverwaltung bislang kläglich. Anfragen werden verschleppt, ignoriert oder rechtswidrig abgelehnt. Die Verwaltung verhält sich, als habe sich rechtlich nichts geändert – und entzieht sich damit nicht nur ihrer Verantwortung, sondern auch dem geltenden Recht.

    Die Fakten: Die Stadtverordnetenversammlung hat zum Januar 2025 eine verschärfte Satzung zur Informationsfreiheit beschlossen. Das Budget für zusätzliches Personal wurde bewilligt. Frankfurt verfügt damit formal über eine der wirksamsten kommunalen Regelungen zur Informationsfreiheit in Hessen. Passiert ist – nichts.

    Die Verwaltung mauert, verschleppt, ignoriert.

    In der praktischen Umsetzung dieser neuen Rechtslage scheitert die Stadtverwaltung bislang kläglich. Anfragen werden verzögert, ignoriert oder rechtswidrig abgelehnt. Die Verwaltung verhält sich, als habe sich rechtlich nichts geändert – und entzieht sich damit nicht nur ihrer Verantwortung, sondern auch dem geltenden Recht. Der Autor dieser Zeilen hat in den vergangenen Monaten über zwei Dutzend Anfragen bei verschiedenen Stellen der Stadt gestellt. Nur zwei wurden fristgerecht und gesetzeskonform beantwortet – eine Quote von unter zehn Prozent.

    Das ist nicht nur Verwaltungsversagen, das ist ein eklatanter Verstoß gegen geltendes Recht und gegen die Grundrechte – insbesondere gegen Artikel 5 des Grundgesetzes. Es ist eine Missachtung des Parlamentswillens, eine Ohrfeige für die Stadtverordnetenversammlung und letztlich ein Angriff auf das demokratische Fundament dieser Stadt.

    In der Rede Kubes fehlte der notwendige Zorn über diese systematische Missachtung. Ihre nachweißlichen Erfolge in der Schulpolitik mögen dabei eine Rolle spielen – einem Feld, in dem Empathie, Geduld und Ermutigung gegenüber Kindern im Mttelpunkt stehen sind. Doch die Verantwortlichen in der Frankfurter Verwaltung sind schon groß. Und voll verantwortlich. Deswegen haben sie keinen Anspruch auf pädagogische Milde – sondern auf rechtsstaatliche Konsequenz. Wo Klartext nötig gewesen wäre, blieb sie verständnisvoll. Wo politische Konfrontation gefragt war, bot sie Dialogbereitschaft. Ihre Begeisterung für ihr Thema ist echt – aber sie muss sich in politischen Druck übersetzen. Denn die Staatsgewalt ist an Gesetz, Grundrechte und Menschenwürde gebunden. Wer hier versagt, hat nicht Verständnis verdient, sondern Konsequenzen.

    Was wir erleben, ist ein amalgamiertes Versagen aus Inkompetenz („Das haben wir noch nie so gemacht“), Angst („Da könnte ja jeder kommen!“) und Trägheit („Wer soll das alles auch noch machen?“) – das ewige Dreigestirn deutscher Behördenkultur. Und genau hier braucht es nicht nur neue Stimmen, sondern auch neue Härte.

    Dana Kube hat in ihrer Rede ein wichtiges Signal gesetzt. Sie hat gezeigt, dass sie weiß, worum es geht. Der nächste Schritt muss nun sein, die Verwaltung daran zu erinnern, dass Informationsfreiheit kein Angebot ist – sondern ein einklagbares Recht.

    (Update am 7. Juni: „Was ist Informationsfreiheit“ eingefügt)