Schlagwort: Korruption

  • Korruption vor Gericht — und in der Gesellschaft

    Korruption vor Gericht — und in der Gesellschaft

    Anlässlich des Korruptions-Prozesseses am kommenden Freitag im ABG-Komplex eine Rezension zu Gertrude Lübbe-Wolffs neu erschienenen Buch „Der ehrliche Deutsche“ (Klostermann Verlag, 2025)

    An diesem Freitag verhandelt die Strafabteilung des Amtsgerichts Frankfurt in einem von drei den Frankfurter Nachrichten bekannten Verfahren aus dem Korruptions-Komplex der ABG Frankfurt Holding GmbH. Ein Beispiel, das das Systemhafte am Thema Korruption in der Stadt sichtbar macht: Intransparente Strukturen, Nähe zwischen Politik und Verwaltung, wirtschaftliche Verflechtungen, die dem öffentlichen Auftrag zuwiderlaufen. Dass es dafür überhaupt erst eines Strafverfahrens bedarf, ist bezeichnend für den Zustand kommunaler Compliance.

    Buch (Abbildung)

    In dieses Klima fällt das neue Buch der ehemaligen Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff, das man als intellektuellen Prüfstein einer Gesellschaft lesen kann, die sich selbst gern für integer hält. Der ehrliche Deutsche – der Titel trägt eine ironische Spannung in sich. Er klingt zunächst wie eine Selbstvergewisserung – Ausdruck des tief verwurzelten Glaubens an deutsche Rechtschaffenheit. Doch zugleich legt Lübbe-Wolff den Finger auf genau diese Selbsttäuschung: Die Vorstellung vom „ehrlichen Deutschen“ wird zur Maske, hinter der sich strukturelle Blindheit und moralische Bequemlichkeit verbergen. Der Titel ist somit weniger Lob als Diagnose einer verdrängten Wirklichkeit.

    Man denkt sofort an Figuren wie den grünen Stadtkämmerer Bastian Bergerhoff, dessen Partei sich ehrenvoll für Informationsfreiheit stark macht, der aber schamlos die Stadtverordnetenversammlung belügt, um Einsicht in Akten mit Korruptionsbezug bei der ABG durch einen Prüfungsausschuss zu verhindern.

    Immerhin führt das für die Aufsicht zuständige Hessische Ministerium des Innern jetzt endlich eine Untersuchung durch.

    Lübbe-Wolff, Juristin und langjährige Professorin in Bielefeld, seziert in ihrem Buch die großen Mechanismen der Korruption: von der Vetternwirtschaft im Vergabewesen über die strukturelle Versuchung politischer Macht bis hin zu den grauen Zonen im Wissenschafts- und Gesundheitsbetrieb. Sie folgt dabei – wie auch die Frankfurter Nachrichten in der Berichterstattung – der Definition von Transparency International: Korruption als Missbrauch anvertrauter Macht zum eigenen Vorteil. Doch ihre Analyse reicht tiefer – sie beschreibt auch die psychologische und kulturelle Dimension, die Verdrängung des Problems im Selbstbild der „rechtschaffenen“ Deutschen.

    Lübbe-Wolff widerspricht entschieden der nationalen Selbstzufriedenheit. Zwar liege Deutschland auf Platz neun im internationalen Korruptionswahrnehmungsindex, doch sei es – so schreibt sie – vom „Integritätsspitzenreiter Dänemark weiter entfernt als von Chile oder den Vereinigten Arabischen Emiraten“. Die Risiken nähmen zu: Internationalisierung, Migration aus Ländern mit anderer Korruptionskultur, organisierte Kriminalität und eine Politik, die in Krisen Milliarden verteilt, ohne Kontrollmechanismen aufrechtzuerhalten.

    Besonders scharf fällt ihre Kritik am „Moralismus“ und an der „Regelungsillusion“ aus. Wer Korruption allein als moralisches Fehlverhalten Einzelner begreife, so Lübbe-Wolff, verkenne die strukturelle Dimension. Und wer glaubt, mit wohlklingenden Gesetzen sei das Problem erledigt, täusche sich – vor allem in der Europäischen Union, wo der „Erlass prächtig klingender Normen“ allzu oft die praktische Untätigkeit überdecke.

    Das kennen wir in Frankfurt vom Fall Peter Feldmann, der nur für einen begrenzten Tatkomplex im Zusammenhang mit der AWO verurteilt wurde. Zehn Jahre lang war er Chefaufseher der korruptionsbelasteten ABG Frankfurt Holding. Über eine systematische Aufarbeitung seines Wirkens dort ist nichts bekannt. Trotz des erhöhten Korruptionsrisikos in der Immobilienbranche. Der vom Aufsichtsrat unter seinem Vorsitz über das übliche Rentenalter hinaus und unter offenkundigen Compliance-Verstößen vertragsverlängerte Geschäftsführer Frank Junker (68) ist beispielsweise bis heute im Amt.

    Für die ehemalige Richterin ist Transparenz die wirksamste Gegenmedizin – und sie fordert eine „Abmagerungskur“ für das Datenschutzrecht, das in seiner Überdehnung häufig eher Vertuschung als Aufklärung ermögliche.

    Ihr Buch ist kein juristisches Traktat, sondern eine luzide Analyse einer politischen Kultur, die Korruption gern als Randphänomen auslagert. Dass es gerade aus Frankfurt kommt – der Stadt, die sich Transparenz in ihrer Beteiligungssatzung vorschreibt, sie aber regelmäßig verweigert – macht seine Lektüre zur Pflicht.

    „Der ehrliche Deutsche“ ist damit mehr als ein Fachbuch. Es ist ein Spiegel, in dem sich nicht nur Ministerien und Großkonzerne, sondern auch kommunale Gesellschaften wie die ABG wiedererkennen könnten – wenn sie den Mut hätten hinzusehen. 

    Gertrude Lübbe-Wolff: „Der ehrliche DeutscheÜber Problemverleugnung, Moralismus und Regelungsillusionen in Sachen Korruption.
    Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2025. 344 Seiten, 29,80 €.

    Hauptverhandlungstermin im Verfahren 915 Cs 7740 Js 232292/20 (Tatvorwurf: Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr) findet am Freitag, den 24. Oktober 2025, um 09:00 Uhr in Saal 15 E, Gerichtsstraße 2, 60313 Frankfurt am Main, statt.

    (Anmerkung: für einige Stunden nach Veröffentlichung war eine Vorabversion durch einen Fehler im Redaktionsprozess online, in der impliziert wurde, ein verfahrensbeteiligter ABG-Mitarbeiter sei Angeklagter. Richtig ist, das ABG-Mitarbeiter Zeugen im Verfahren sind. Wir bedauern den Fehler und haben ihn korrigiert.)

  • Korruptionsverdacht: Der Schatten der ABG

    Korruption ist kein fernes Phänomen, das in Nachrichten über entlegene Regime vorkommt. Ihr Risiko sitzt mitten in Frankfurt, in den Amtsstuben der Verwaltung, in den Fluren der ABG Frankfurt Holding GmbH, einer Gesellschaft, die unter der Führung von Frank Junker eigentlich für Gemeinwohl stehen sollte.

    Inzwischen gibt es gleich drei Strafverfahren, die belegen: Der Verdacht des Filzes war nie bloß ein Gerücht. Nach unseren Recherchen ist uns jetzt bekannt, dass es mindestens drei Strafverfahren wegen Korruptionsdelikten in der Sphäre der ABG gibt.

    Drei Strafprozesse – drei Spiegelungen

    • Aktenzeichen 915 Cs 7740 Js 232 292/20;
      Strafbefehl ergangen am 11.11.2024. Öffentliche Hauptverhandlung am 24.10.2025, 09:00 Uhr, Saal 15 E.
    • Aktenzeichen 915 Ds 7740 Js 214491/20 &x20;
      Erstinstanzliches Urteil ergangen, aktuell Berufung vor dem Landgericht.
    • Aktenzeichen 917 Ls 7740 Js 258649/24;
      Anklage vom 23.12.2024. Pflichtverteidiger bereits bestellt. Hauptverhandlung noch nicht eröffnet.

    In dem letztgenannten Verfahren stehen fünf Angeklagte vor Gericht, darunter ein Mitarbeiter der ABG. Fünf Verteidiger, drei Richter – das Format des Schöffengerichts zeigt bereits an, dass hier keine Bagatelle verhandelt wird. Ein Prozess ist ein Brennglas: erhellend und schmerzhaft zugleich. Wenn die Hauptverhandlung eröffnet wird, dürfte dies einer der aufsehenerregendsten Termine im Frankfurter Justizkalender werden. Noch liegt die Anklageschrift unter Verschluss – doch das Licht der Verhandlung wird sich nicht dauerhaft dimmen lassen.

    Amtsgericht Frankfurt: ein Urteil ist bereits ergangen. Foto: O. Brückner

    Die ABG als Bühne

    Die ABG ist mehr als ein städtisches Unternehmen. Sie ist eine Projektionsfläche: für Hoffnungen auf bezahlbaren Wohnraum, aber auch für Misstrauen, wenn Entscheidungen intransparent bleiben. Dass nun Verfahren wegen Korruptionsdelikten geführt werden, zeigt, wie brüchig das Fundament sein kann, wenn Gemeinwohlauftrag und Eigeninteresse ineinanderfließen. Jahrelange Versäumisse bei der Aufsicht manifestieren sich jetzt als Problem. Zehn Jahre lang stank der Fisch vom Kopf — Oberaufseher war der korrupte Oberbürgermeister Feldmann, später in anderer Sache wegen Vorteilsnahme vom Landgericht Frankfurt zu 120 Tagessätzen verurteilt. Es wird sich zeigen, ob seine Amtsführung einen negativen Einfluss hatte. Aber auch heute gibt es Aufsichtsratsmitglieder mit offensichtlichen Interessenkonflikten. Das ist hochriskant.

    Auch Stadt betroffen

    Aber auch die Stadt ist selbst betroffen von Korruptionsfällen: die Verurteilung von OB Peter Feldmann, zugleich höchster Aufseher der ABG und die Verurteilung seines engen Mitarbeiters, dem Leiter des Hauptamts Tarkan A. sind prominenteste Fälle. Zuletzt gab es Ermittlungen bei der Vergabe von Mietwagen-Lizenzen. Droht ein Rückfall in die 80er Jahre?

    „Sizilianische Verhältnisse“?

    Im Juli 1988 berichtete der Spiegel, dass gegen rund 300 Beschuldigte bei der Stadt ermittelt wurde. In sieben städtischen Ämtern – vom Straßenamt bis zu den Stadtwerken – habe es demnach als üblich gegolten, dass Firmen, aber auch Bürger zunächst Geld zahlen mussten, wenn sie Aufträge oder behördliche Unterstützung erhalten wollten.

    Der Blick zurück zeigt: Das Thema Korruption ist nicht neu, es zieht sich wie ein roter Faden bis in die aktuellen Verfahren hinein. Schon damals sprach ein Staatsanwalt von „sizilianischen Verhältnissen“. Die Frankfurter Rundschau berichtete etwa von einem städtischen Mitarbeiter, der von einem Unternehmer als Gegenleistung für seine Unterstützung verlangte, ihm eine Herde Rinder zu kaufen. Heute fragt man sich, welche Formen der Vorteilsnahme sich nun offenbaren werden – im sprichwörtlichen braunen Umschlag oder auf subtileren Wegen.

    Ein Fazit ohne Trost

    Frankfurt hat kein punktuelles, sondern ein strukturelles Korruptionsproblem. Die Verfahren in der Sphäre der ABG, die Verurteilungen bei der Stadt und die Rückblicke auf vergangene Skandale zeigen, dass Muster über Jahrzehnte fortwirken. Die Stadt steht vor der Frage, ob sie endlich die Kraft zur Selbstreinigung aufbringt – oder ob die alten Bilder von „sizilianischen Verhältnissen“ weiterhin das heimliche Leitmotiv bleiben.

  • Korruption im Wohnungswesen: Ein strukturelles Problem

    Deutschland steckt in einer Wohnkrise. Doch während die Öffentlichkeit über Mietpreise und Neubauzahlen debattiert, bleibt ein Thema erstaunlich unterbelichtet: Korruption im kommunalen Wohnungswesen. Dabei zeigt sich gerade hier ein bedrückendes Muster aus Filz, Intransparenz und mangelnder Kontrolle. Die kürzlich bekannt gewordene Anklage gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der ABG Frankfurt Holding GmbH und vier weitere Personen ist kein Einzelfall – sondern Symptom eines tieferliegenden Problems.

    Die ABG, eine hundertprozentige Tochter der Stadt Frankfurt am Main, steht exemplarisch für die strukturellen Schwächen vieler kommunaler Wohnungsunternehmen: Intransparente Vergabepraktiken, personelle Verflechtungen mit der Lokalpolitik, und eine Kultur des Schweigens.

    Seit 2020 ermittelte die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen Korruptionsdelikten im Zusammenhang mit der Vergabe von ABG-Wohnungen, unter anderem mit Hausdurchsuchungen auch in Räumen der ABG. Ein ehemaliger ABG-Mitarbeiter wurde am 5. Januar 2024 wegen Bestechlichkeit erstinstanzlich verurteilt.

    Ein Blick auf andere Städte zeigt: Frankfurt ist kein Sonderfall. In Berlin wurden 2021 Fälle von Untreue bei den landeseigenen Gesellschaften degewo und Gewobag publik. In Köln steht seit Jahren die GAG Immobilien AG unter Beobachtung. Und in Stuttgart hat sich das kommunale Wohnungsunternehmen SWSG in ein Dickicht aus Subunternehmen und Beraterverhältnissen verstrickt, das kaum noch zu entwirren ist.

    Die Mechanismen ähneln sich: mangelnde externe Kontrolle, ein eingeschränkter Zugang für Presse und Zivilgesellschaft, oft keine ordentliche Compliance-Struktur. Die zuständigen Aufsichtsräte, politisch besetzt, sind zu nah dran am Geschehen, zu wenig willens oder in der Lage, Missstände aufzudecken.

    Dabei geht es um mehr als kriminelle Einzelfälle. Die Verquickung von Politik, Verwaltung und kommunaler Wohnungswirtschaft produziert systematisch eine Grauzone, in der Verantwortung diffus wird und Rechenschaftspflicht erodiert. Der Schaden ist nicht nur materiell, sondern auch demokratisch: Wenn Vertrauen in die öffentliche Hand verloren geht, wenn der Eindruck entsteht, dass Filz dazugehört, dann erodiert die Legitimität des Staates von innen.

    Was tun? Erstens: volle Transparenz. Die Gesellschaften müssen zur Offenlegung aller Auftragsvergaben, Nebentätigkeiten und Compliance-Berichte verpflichtet werden. Zweitens: unabhängige Kontrollgremien, die nicht von Parteifreunden oder Verwaltungsmitarbeitern dominiert werden. Drittens: effektiver Schutz für Whistleblower und Pressezugang zu internen Unterlagen.

    Die Wohnungsfrage ist auch eine Machtfrage. Und solange Kontrolle fehlt, wird diese Macht missbraucht werden. Frankfurt ist ein Brennglas. Doch das Bild, das es zeigt, reicht weit über die Stadtgrenzen hinaus.

    Update/Richtigstellung, 05. August 2025: Ein Rechtschreibfehler, ein Genus-Fehler und ein Tempus-Fehler wurden korrigiert, nachdem uns die Stuttgarter Großkanzlei Gleiss Lutz im Auftrag der ABG mit einer Abmahnung überzogen hat. Wir haben das zum Anlass genommen, das bereits ergangene Korruptions-Urteil gegen einen ehemaligen ABG-Mitarbeiter in den Artikel mit aufzunehmen und ein Formulierung klarer zu fassen „Seit 2020 ermittelte die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen Korruptionsdelikten“. Über das grundrechtswidrige Vorgehen der ABG gegen uns und über die dahinter liegenden Motive werden wir in Kürze berichten)

    Update 2, 05. September 2025: Nach weiteren Nachforschungen sind uns inzwischen bereits drei Strafverfahren zu Korruptionsdelikten in der Sphäre der ABG bekannt:

    915 Cs 7740 Js 232 292 /20
    Strafbefehl ergangen am 11.11.2024
    Hauptverhandlung bestimmt auf den 24.10.2025, 09:00 Uhr, Saal 15 E

    915 Ds 7740 Js 214491/20
    Erstinstanzliches Urteil ergangen, aktuell Berufungsverfahren vor dem Landgericht

    917 Ls 7740 Js 258649/24
    Anklage vom 23.12 2024
    Pflichtverteidiger bereits durch das Gericht bestellt

    Wenn die Hauptverhandlung eröffnet wird, wird das großes Justizkino: 5 Angeklagte (einer Mitarbeiter der ABG) mit 5 Strafverteidigern, wegen der Schwere der Tat vor dem Schöffengericht mit gleich drei Richtern. Da wird viel ans Tageslicht kommen. Wir werden berichten.