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  • Wo einst Gott war, steht nun Trump

    Über das Vakuum zwischen Gefühl und Wissen – und wie es sich mit goldenen Hüten und Führerkulten füllt.

    Von Carsten Prueser

    Es gibt einen Satz, der zunächst befremdet, dann aber mit bestechender Klarheit die amerikanische Gegenwart deutet: Donald Trump ist die Umkehrfunktion des Niedergangs organisierter Religion. Was wie eine steile These klingt, verweist auf eine tiefe Wahrheit über die menschliche Psyche – und über das politische Amerika unserer Zeit.

    Trump der Herr, Gott oder Götze?

    Zwischen Gefühl und Wissen liegt ein Raum, in dem einst der Glaube wohnte. Vor der Aufklärung, vor Rationalismus und Vernunft, war dies das Revier der Religion: Sie gab den Menschen Sinn, Trost, Ordnung – und ein Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein. In den USA war dieses Arrangement besonders langlebig. Kirche war nicht nur Sonntagsritual, sondern moralische Instanz, Sozialnetz, kollektiver Mythos.

    Doch das hat sich verändert. In nur wenigen Jahrzehnten hat Amerika eine Art Turbo-Säkularisierung erlebt. Die Kirchen leeren sich, besonders bei jenen, die einst ihr Rückgrat bildeten: der weißen Arbeiterklasse. Die einst fromme „Moral Majority“ ist zu einer konfessionslosen Masse geworden, die zwar die Bibel schätzt, aber sonntags lieber zu Walmart fährt als zur Messe.

    Und so ist ein Vakuum entstanden. Kein religiöses im engeren Sinne – sondern ein psychologisches. Ein Vakuum an Sinn, Gemeinschaft, Erlösungserzählung. Was fehlt, ist nicht das Dogma, sondern der Rahmen, der dem Einzelnen sagt, wer er ist, wofür er lebt und wem er vertraut. Genau in diesen Raum dringt Trump vor. Mit der Präzision eines Missionars – nur ohne Transzendenz.

    Was Trump bietet, ist nicht bloß Politik. Es ist Liturgie. Seine Wahlkampfveranstaltungen gleichen Erweckungstreffen. Da wird gebetet, geweint, geschworen. Die MAGA-Kappe ist das Taufkleid, der „Deep State“ der Satan. Und Trump – der gesalbte Retter. Fast die Hälfte der weißen evangelikalen Protestanten glaubt, er sei von Gott gesandt.

    Aber es sind nicht nur die Frommen. Es sind vor allem die Enttäuschten. Die, deren Kirchen zu Discountern wurden, deren Pastoren zu Skandalträgern, deren Gemeinden zu Geisterstädten. Wer früher im Kirchenchor sang, steht heute im Sprechchor „Lock her up!“. Der Wechsel ist fließend – nur das Ziel hat sich verschoben.

    In dieser Bewegung steckt ein gefährlicher Zauber. Denn Trump ersetzt nicht einfach Religion – er pervertiert sie. Wo Glaube Demut verlangte, fordert er Gehorsam. Wo Religion zur Versöhnung rief, predigt er Spaltung. Sein Kult ist die Religion der Vereinzelten: kein Himmel, nur Identität. Kein Jenseits, nur „America First“.

    Das eigentliche Drama liegt nicht in Trumps Erfolg. Es liegt in der Leerstelle, die er füllt. Eine Leerstelle, die die liberalen Eliten gerne ignorieren. Doch wer versteht, dass viele Trump-Anhänger nicht nur politisch, sondern seelisch heimatlos sind, wird begreifen, dass kein Faktencheck, kein Skandal, kein Gerichtsurteil dieses Bedürfnis nach Sinn auslöschen kann.

    Wenn Gott auszieht, zieht nicht zwangsläufig die Vernunft ein. Manchmal kommt der goldene Götze. In Amerika trägt er eine rote Kappe.