Verbotene Worte: Ein Angriff auf unseren demokratischen Diskurs

Kommentar von Carsten Prueser

Am 8. Mai 2025 untersagte Hilime Arslaner, Stadtverordnetenvorsteherin von Frankfurt, den Stadtverordneten das Wort „Junkies“ zu verwenden. Hinter dem gut gemeinten Versuch, beleidigenden Sprachgebrauch einzudämmen, verbirgt sich jedoch ein schwerwiegender Fehler, der unser demokratisches Miteinander gefährdet.

Der Ausdruck „Junkie“ geht etymologisch auf das englische „junk“ zurück, das vor über hundert Jahren im New Yorker Unterweltslang Heroin bezeichnete – nicht die Konsument*innen. In den 1920er-Jahren entstand daraus der Begriff für Menschen mit Heroinabhängigkeit, ein Wandel, der erst später missverstanden wurde: Es ist also falsch, „Junkies“ automatisch als Gleichsetzung von Betroffenen mit „Müll“ zu verstehen. Popularisiert wurde der Begriff durch William S. Burroughs Roman „Junkie“ aus dem Jahre 1953. Eine Gleichsetzung der Betroffenen mit „Müll“ ist etymologisch also nicht korrekt, sondern eine vereinfachende Fehlinterpretation.

Lou Reed puts a spike into his vein
Lou Reed auf der Bühne in Houston, TX, 1974. Foto von Michael Zagaris

„…when I put a spike into my vein…“

Heute hat sich die Verwendung weiterentwickelt. Viele nutzen Bezeichnungen wie „News-Junkie“ oder „Adrenalin-Junkie“ völlig unbefangen, um eine starke Vorliebe auszudrücken – wer von sich selbst als „News-Junkie“ spricht, mag seinen eigenen Medienkonsum augenzwinkernd kritisieren. Diese Alltagssprache pauschal als „stark abwertend“ zu verbieten, zeigt ein zu kurzes Verständnis von sprachlicher Realität.
Vor allem aber steht ein Verbot von Wörtern zu sehr im Zentrum, während die Diskussion der eigentlichen Inhalte in den Hintergrund rückt. Demokratie lebt vom Streit um Argumente, nicht von sprachlicher Schaumbremse. Wer sich nicht sicher ist, ob ein Ausdruck richtig gewählt ist, sollte ihn hinterfragen und erklären, statt ihn per Dekret zu unterbinden. Gerade Menschen, die nicht über ausgeprägten sprachlichen Feinsinn verfügen, werden so vom politischen Diskurs ausgeschlossen. Moralisierender Sprachschutz kann zu Trotzreaktionen führen und Debatten in Randzonen verdrängen, auf denen radikalere Stimmen leichter Gehör finden.

Ein weiterer gefährlicher Effekt: Wenn wir Kritiker:innen oder Stadtverordnete dafür schelten, salopp von „Junkies“ zu sprechen, verschieben wir die Debatte auf ein Nebengleis. Insbesondere politische Kommunikation gerät so in Gefahr, eher formale Regeln zu wahren als sich inhaltlich mit Missständen auseinanderzusetzen. Es braucht keine Verbote, sondern klare Unterscheidungen: Wer Suchtkranke als „asoziales Pack“ beschimpft, muss zurechtgewiesen werden – aber wer von „Junkies“ spricht, sollte nicht sanktioniert werden. Abhängige Menschen sind zweifellos schutzwürdig, doch muss auch ihr Handeln kritisch hinterfragt werden können.

Die aktuelle Praxis trägt dazu bei, dass sich zunehmend Unmut in der Bevölkerung sammelt. Immer mehr Bürger*innen fühlen sich in ihrer Meinungsäußerung eingeschränkt und wenden sich Protestbewegungen zu. Das Erstarken extremistischer Kräfte und die Stimmen- und Sympathie-Verluste der Grünen, die sich klar als moralische Wächterinnen positionierten, sind auch eine direkte Folge dieser Debattenkultur. Jene, die eigentlich Respekt einfordern wollen, erzeugen durch rigiden Sprachzwang genau das Gegenteil: Ausgrenzung und Radikalisierung.

Es ist an der Zeit, den Fokus wieder auf Inhalte, statt auf Formulierungen zu lenken. Wir sollten darüber diskutieren, wie wir Menschen mit Suchterkrankungen besser unterstützen und wie wir die Ursachen von Sucht bekämpfen – nicht, wie wir einzelne Begriffe verbieten. Sprechen sollten wir auch darüber, wie den Anwohnern und Unternehmern und auch den Gästen im Viertel durch die Folgen des Konsums das Leben erschwert wird. Demokratie lebt vom freien Wort. Wenn wir anfangen, ganze Wörter zu ächten, untergraben wir unsere eigene Grundlage.

Konkret heisst das auch, wenn die CDU-Fraktion und Teile der FDP —nachdem sie jahrelang lamentiert haben, es würde nichts getan im Bahnhofsviertel— die neuen Vorschläge der Frankfurter Akteure in der Suchtbekämpfung ablehnen, müssen wir ihnen diese unverfrorene Verantwortungslosigkeit vorwerfen. Und nicht, dass sie vielleicht von „Junkies“ sprechen. Und: wer Dummheits-Junkie ist, darf andere Junkies auch so nennen.

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