Die Pressefreiheit gilt als stolzes Grundrecht, als Herzschlag der Demokratie. Doch was, wenn die Arterie vertrocknet? Wenn die Presse, auf die sich dieses Grundrecht bezieht, schlicht verschwindet? Dann schützt das Grundgesetz eine leere Hülle – eine Freiheit ohne Substanz.
Das Verschwinden der Stimmen
Lange war die Ordnung einfach: Die Zeitung am Morgen, das Radio beim Frühstück, die „Tagesschau“ am Abend. Presse, das waren Institutionen – Redaktionen, die Debatten prägten, die als vierte Gewalt mitspielten. Heute bröckelt diese Ordnung. Digitalisierung, verändertes Mediennutzungsverhalten, zerlegte Aufmerksamkeiten. Die Geschäftsmodelle sind kollabiert, Anzeigenmärkte längst zu Google und Meta gezogen. Die alten Abonnenten sterben – biologisch und kulturell.
Frankfurt ist ein Brennglas dieses Verfalls:
- Die Frankfurter Rundschau, einst ein stolzes links-liberales Blatt mit nationalem Anspruch, wirkt heute wie ein Schatten ihrer selbst.
- Die Frankfurter Neue Presse stirbt leise, Abonnenten werden noch einmal „abgemolken“, zentral zugelieferte Inhalte und Kostensparprogramme. Ende der Eigenständigkeit absehbar.
- Selbst die FAZ, einst übermächtiger Leitstern, versteckt lokale IVW-Zahlen, um den Absturz nicht sichtbar werden zu lassen. Großes Engagement und große Hoffnung auf die digitalen Formate. Funktionieren die lokal? Unklar.
Zurück bleibt am Ende eine Kulisse. Adorno hätte es die „Verwaltung des Mangels“ genannt: Zeitungen als Markenhüllen, die Inhalte industriell normiert und zusammengelegt, mit dem Anspruch von Vielfalt, aber der Realität der Gleichförmigkeit.
Die leere Formel der Freiheit
Doch Pressefreiheit ist kein Zierstück, kein museales Objekt. Sie lebt nur, wenn es ein Gegenüber gibt: Stimmen, die nachfragen, die stören, die Herrschende beunruhigen. Horkheimer und Adorno beschrieben schon in der Dialektik der Aufklärung, wie Kultur zur Ware verkommt: Das Abweichende wird geglättet, das Kritische absorbiert, bis am Ende Produkte stehen, die planbar konsumierbar sind – ob Nachrichten, Serien oder Songs.
Wenn die Presse ihre kritische Funktion verliert und sich auf den reibungslosen Vollzug der Industrie reduziert, läuft die Pressefreiheit leer.
Und die einst großen Player, die jetzt leise untergehen, hatten es sich bequem gemacht mit den Mächtigen.
Neue Formen, neue Blockaden
Natürlich entstehen neue Formen: Blogs, investigative Projekte, kollektive Plattformen, digitale Magazine, oft prekär, manchmal dilettantisch – aber mit dem Anspruch, das kritische Moment zu bewahren. Die Rechtslage ist völlig klar: Alle diese neuen Formen sind von der Rechtsprechung als Presse anerkannt. Aber die Praxis der öffentlichen Verwaltung, wo es sich im Dunkeln gut munkeln lässt, ist eine andere. Informationsansprüche werden abgeblockt, Zugänge verwehrt, Anträge verschleppt. Auch weil man die neuen Presseformen nicht wie gewohnt einlullen kann, die individuellen Messingschildchen auf der Pressebank im Sitzungssaal stehen symbolisch für ein Welt, in der sich schon lange keiner mehr wehtut. Und das ist ein Problem: Denn eine Freiheit, die nur auf dem Papier gilt, ist keine.
Öffentlichkeit als Möglichkeit
Die Frage „Wer ist eigentlich noch Presse?“ ist deshalb mehr als eine semantische. Sie berührt das Zentrum der Demokratie: Gibt es noch Räume, in denen Öffentlichkeit mehr ist als algorithmisch sortierter Content? Oder verlieren wir, mit den Redaktionen, auch die Instanz, die Kritik institutionell verkörperte?
Adorno hätte gesagt: Die Aufgabe der Presse ist es, „das Nicht-Identische hörbar zu machen“. Das, was sich nicht fügt, nicht glätten lässt. Wenn diese Stimmen verschwinden oder systematisch zum Schweigen gebracht werden, bleibt nur Verwaltung – von Nachrichten, von Menschen, von der Freiheit selbst.
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